Wenn die Sommergäste Hiddensee verlassen, wird es still auf dem „söten Länneken“ – sehr still. Nur wenige Fremde zieht es jetzt auf die Insel. Wir haben vorbeigeschaut.
Fast lautlos tuckert das Fährschiff durch den Nebel in den kleinen Hafen von Vitte. Nur eine Handvoll neuer Gäste betreten an diesem Spätherbstmorgen das Eiland. Es riecht nach Pferdeäpfeln. Auf der autofreien Insel dominierend Pferdefuhrwerke und Fahrräder den Verkehr. E-Motorisiert sind hier nur die Polizei, der Inselarzt und die Post.
Wer sich hier in der Nachsaison einquartiert, findet sofort Ruhe vom Alltagsstress. Dann kann man endlose Strandspaziergänge und stundenlange Wanderungen durch Dornbuschwald und Heide machen, ohne einem Menschen zu begegnen. Und selbst wenn, die meisten Passanten geben sich Fremden gegenüber eher wortkarg bis mürrisch. Im Hafen von Kloster heizt auf einem schäbig heruntergekommenen Holzkutter ein Mann die Räuchertonne an. Was würde er dem Gast empfehlen, außerhalb der Hochsaison? Er habe keine Zeit zum Reden, sagt er. Der Mann ist Hiddensees Bürgermeister.
Auch die gerade erst ins Amt eingeführte junge Kurdirektorin will keine Tipps geben für den Urlaub im Winter. Deutlich gesprächiger ist Henry Engels. Der Mann ist Bernsteinschleifer in Kloster. „Laut wird es hier nur, wenn es so richtig stürmt, am besten Südwest und Windstärke 12“, schwärmt der gebürtige Hiddenseer. Dann wate er im Neopren-Anzug durch das aufgewühlte Wasser und fische mit großem Kescher nach dem Gold der Ostsee. In seiner kleinen Werkstattgalerie präsentiert seine Frau den Fund seines Lebens: ein Mega-Bernstein, 463 Gramm schwer, der vor vielen Jahren im Netz landete. Es eines der wenigen unverkäuflichen Schmuckstücke.
Die Engels sagen, der Übergang vom Herbst zum Winter sei die schönste Zeit auf Hiddensee. Fotografen fänden in der rauen Insellandschaft ständig neue, faszinierende Motive. Die größeren Hotels würden auch im Winter noch Zimmer vermieten und einige Restaurants hätten zur Glühweinsaison auch noch geöffnet, sagen sie. Und es gäbe auch in der Abgeschiedenheit der Insel einiges, was man unternehmen könne.
Abendvorträge im Nationalparkhaus zum Beispiel mit Hiddensee´s Wetter-Guru Stefan Kreibohm oder mit Irmgard Blindow, der Chefin der Biologischen Station Hiddensee. In Neuendorf erfährt man im „Lütt Partie“ Interessantes zur jahrhundertealten Inselfischerei. Und im früheren Wohnhaus von Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1862-1946) kann man Arbeitszimmer, Weinkeller und Schlafzimmer des Dichters besichtigen, in dem er nächtliche Einfälle gleich an die Wand gekritzelt hatte.
Unbedingt empfehlenswert ist ein Besuch der winzigen Seebühne in Vitte. In dem auf weltweiten Tourneen gefeierten Figurentheater von Karl Huck, dem „Magier von Hiddensee“, und seiner Frau Wiebke Volksdorf wird zur diesjährigen Nachsaison die Geschichte des Schiffbrüchigen Robinson Crusoe erzählt.
Autor und Bilder: Ralph Sommer
Audioversion des Artikels:
Mehr Geschichten aus dem Norden zum Hören