Teilnehmer des Projekts Sommerflotte geben für vier Wochen ihre Autoschlüssel ab und bewegen sich fortan mit alternativen Angeboten durch die Stadt. Vier Erfahrungen.

„Ein Leben ohne Auto… ist eindeutig machbar“

Denise Sabasch, CSR-Managerin aus Berlin-Charlottenburg Autonutzer: 1 Person Hauptstrecke: 2,2 km            Auto: Renault Clio

Warum Sommerflotte: Die langwierige Parkplatzsuche war oft der Grund, weshalb ich das Auto erst gar nicht genutzt habe. Daher lag der Umstieg auf Alternativangebote nah. Die Sommerflotte war die ideale Gelegenheit, diese Alternativen auszuprobieren.

Die ersten Tage… gestalteten sich ziemlich aufwendig, da ich alles ausprobieren wollte. Dafür musste ich mich zunächst bei 21 Anbietern registrieren. Aber das hat sich ausgezahlt.

Der Umstellungsprozess… war gar nicht schlimm. Vor dem Projekt hatte ich immer nur mit einem Fortbewegungsmittel den Tag geplant. Welche Orte muss ich an dem Tag erreichen? Wann muss ich wo sein? Aber mit dem Projekt ergab sich eine viel größere Flexibilität. Das Fahrrad vom Morgen musste nach einem Event nicht wieder beim Abstellplatz abgeholt werden; ich konnte einfach auf ein passenderes Fortbewegungsmittel umsteigen. Das war einerseits befreiend, aber durch die enorme Vielzahl an Möglichkeiten auch sehr komplex.

Wie oft musstest du an dein Auto denken? Oft (lacht). Eigentlich nutzte ich mein Auto ohnehin sehr wenig. Aber in den vier Wochen standen unerwartet viele Termine an, für die ich ein Auto brauchte. Eine Taufe hier, ein Event dort… So kam es, dass ich auf einmal vier- bis fünfmal in der Woche ein alternatives Fortbewegungsmittel benötigte und zum Ende des Monats gut mit den Freiminuten haushalten musste. Allerdings kam mir nie der Gedanke aufzugeben.

Dein Fazit: Ob ich mein Auto abschaffe, weiß ich noch nicht, aber ich werde am Ende meines Leasingvertrags genau abwägen. Die Sommerflotte hat gezeigt, dass es innerhalb des Berliner Rings auch ohne Auto geht. Außerhalb ist die Abdeckung an Alternativen aber definitiv ausbaufähig.


„Ein Leben ohne Auto ist… die Chance, Stadt & Menschen kennenzulernen“

Prof. Dr. Francisco Morales Serrano
aus Berlin-Charlottenburg
Autonutzer: 2 Personen
Hauptstrecke: 8 km
Auto: Renault Mégane Scénic

Warum Sommerflotte: Unser Auto ist ein reines Mittel zum Zweck, das nur genutzt wird, wenn wir schwere Sachen transportieren müssen oder mit den Hunden ins Auslaufgebiet fahren. Ob ich für diese wenigen Male im Monat wirklich ein eigenes Auto brauche, wollte ich während der Sommerflotte ausprobieren.

Die ersten Tage… waren einfach ausgezeichnet. Ich bin sofort los mit dem Fahrrad, der BVG oder – was man einfach zu oft vergisst – zu Fuß.

Der Umstellungsprozess: Anfangs haben meine Freunde mich schon komisch angeschaut, als ich erklärte, dass ich mein Auto nicht mehr nutzen „darf“. Aber das war egal. Nach zwei Wochen hatte ich schon vergessen, wo ich meinen
Wagen abgestellt hatte.

Wie oft musstest du an dein Auto denken? Wenn ich darüber nachdenke, gab es wirklich nur einen einzigen Moment, in dem ich das Auto herbeigesehnt habe. Ich bin mit dem Fahrrad zum Baumarkt gefahren und habe mir einen großen, schweren Spiegel gekauft. Der Transport war ein Abenteuer, auf das ich gerne verzichtet hätte. Ich musste die ganze Zeit daran denken, wie einfach es hätte sein können. Aber das war wirklich die Ausnahme. Ich war gedanklich sogar so weit von meinem Auto entfernt, dass ich die Schlüssel erst nach fünf anstelle der vorgeschriebenen vier Wochen abgeholt habe.

Dein Fazit: Ich werde mein Auto definitiv verkaufen. Es hat sich herausgestellt, dass das Auto für mich eine reine Luxussache ist, auf die ich problemlos verzichten kann. Ohne genieße ich das Unterwegssein viel mehr und tue auch gleich etwas Gutes für die Umwelt.


„Ein Leben ohne Auto ist… unter Umständen gar nicht so schwer“

Oliver Grothe, Lehrer
aus Berlin-Westende
Autonutzer: 2 Personen
Hauptstrecke: 8 km
Auto: Renault Clio

Warum Sommerflotte: Wir haben unser Auto oft nur zweimal die Woche wirklich gebraucht. Als mir meine Frau dann von der Sommerflotte vorlas, war es klar, dass ich da mitmachen will.

Die ersten Tage… waren völlig unproblematisch. Fast hätte ich das Auto vergessen, hätte ich nicht ab und an ein Auge wegen möglicher Parkverbote darauf gehabt. Neugier und Vorfreude waren von Anfang an größer als jede Sorge.

Der Umstellungsprozess: Nachdem ich alle notwendigen Apps installiert hatte, war ich sofort angepasst. Bis auf die Tatsache, dass ich ab und zu die Verfügbarkeit bestimmter Sharing-Anbieter checken musste, hat sich mein Alltag dabei kaum verändert.

Wie oft musstest du an dein Auto denken? Ich hatte zwar einen Zweitschlüssel, da bei uns quasi wöchentlich neue Halteverbotsschilder aufgestellt werden und ich das Auto eventuell hätte umparken müssen. Aber ich bin während der ganzen Zeit weder eingestiegen, noch musste ich – abgesehen von der Angst vor Strafzetteln – an mein Auto denken.

Dein Fazit: Ich brauche kein eigenes Auto. Mit Ende des Projekts habe ich angefangen, Käufer zu suchen und seit Ende Januar ist es nun auch verkauft. Ich fühle mich jetzt freier. Ich bin kein Autoliebhaber, kein Bastler oder so. Ich empfand es als Last, jedes Mal lange nach einem Parkplatz zu suchen, die Augen nach Halteverboten offen zu halten oder mich um Reparaturen und TÜV zu kümmern. Davon habe ich mich jetzt befreit. Außerdem fühle ich mich gut damit, dass ich nicht mehr mitverantwortlich bin für das viele stehende Blech in unserem schönen Kiez und dass ich meinen CO2-Fußabdruck verkleinert habe. Aber ich muss auch sagen, dass dies nur so einfach ging, weil ich sehr zentral wohne.


„Ein Leben ohne Auto ist… heutzutage sinnvoll und gut umsetzbar!“

Kerstin Rath, Grafikdesignerin
aus Berlin-Charlottenburg
Autonutzer: 2 Personen
Hauptstrecke: variiert
Auto: VW Käfer

Warum Sommerflotte: Das war eine eher spontane Aktion. Als ich die Ankündigung gelesen habe, habe ich kurzerhand einfach mitgemacht.

Die ersten Tage… waren zugegeben etwas gewöhnungsbedürftig. Mit dem Wissen, das eigene Auto von heute auf morgen nicht mehr nutzen zu „dürfen“, habe ich mich zunächst einfach unflexibel gefühlt. Das sollte sich aber im weiteren Verlauf nicht bewahrheiten.

Der Umstellungsprozess: Am Anfang musste ich mich erst mit den technischen Anforderungen auseinandersetzen und unzählige Apps installieren. Das war zunächst leider nicht so spontan, wie ich es gewohnt war bzw. mir mit der neuen mobilen Vielfalt erhofft hatte.

Wie oft musstest du an dein Auto denken? Den Zeitraum von vier Wochen konnte ich ohne größere Probleme durchhalten. Ans Aufgeben habe ich nie gedacht. Manchmal hat mir das eigene Auto zwar schon gefehlt – wenn ich einmal spät am Abend spontan noch loswollte und natürlich bei schlechtem Wetter – aber das war nicht ausschlaggebend.

Dein Fazit: Das Mobilitätskonzept Berlins in seiner aktuellen Form bietet mir gute und nachhaltige Möglichkeiten. Deshalb habe ich mich nach den vier Wochen dazu entschieden, mein Auto abzuschaffen und weiter die Sharing- Angebote und ÖPNV zu nutzen. Um dies noch mehr Berlinern möglich zu machen, wäre es aus meiner Sicht jedoch wichtig, die entsprechenden Angebote auch in Randbezirken auszubauen bzw. zu etablieren.


„Die Sommerflotte ist… ein tolles Projekt“

Volker Krane
Vorstand für Verkehr
im ADAC Berlin-Brandenburg

Die Teilnehmer können ohne Angst vor eventuellen Fehlentscheidungen testen, ob und mit welchen möglichen Einschränkungen ihr Alltag ohne Auto zu bewältigen ist. Dass rund 30% der Teilnehmer der vergangenen Sommerflotte über einen Umstieg nachdenken, ist ein großer Erfolg für die Initiatoren von „Neue Mobilität Berlin“. Gleichzeitig zeigen die Erfahrungsberichte der Teilnehmer der Stadt und ihren Bezirken auf, welche Schwachstellen es auf dem Weg der Mobilitätswende noch auszumerzen gilt.

Die Aussagen der vier hier vorgestellten Teilnehmer decken sich dabei großteils mit den Einschätzungen und Forderungen des ADAC Berlin-Brandenburg. Für Berliner, die zentral wohnen und bis auf Ausnahmen nur kurze Strecken alleine oder mit wenigen Angehörigen zu bewältigen haben, ist ein autofreies Leben bereits mach- oder zumindest greifbar. Außerhalb des Berliner S-Bahnringes trifft dies, wie es beispielsweise Frau Sabasch und Herr Grothe erlebt haben, aber nicht zu. Diese Gebiete – und damit meine ich nicht nur den Speckgürtel – darf die Politik nicht vergessen, wenn es auch Berliner aus den Randbezirken und Brandenburger Pendler abholen will.

Doch auch andere Personengruppen finden unserer Meinung nach zu wenig Berücksichtigung in der Diskussion um die Mobilität der Zukunft. Das Projekt heißt Sommer-, nicht Winterflotte; und dies aus gutem Grund. Attraktivität, Sicherheit und Praktikabilität vieler Mobilitätsangebote nehmen bei Regen, Schnee, Kälte und zunehmender Dunkelheit deutlich ab. Denken wir nur an die Großmutter, die sich bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad zum Einkaufen quält oder den Kollegen, der auf einem E-Scooter den Aktenkoffer mit zitternden Händen umklammert. Auch so manche Mutter und so mancher Vater dürften ihre Kinder ungern mit dem Cargo-Bike zur Kita bringen, wenn der Regen peitscht. Solange der ÖPNV nicht ausreichend ausgebaut ist und kein Konzept zum Ein- und Auspendeln zu erkennen ist, bleibt das Auto ein wichtige Sicherung der individuellen Mobilität vieler Berliner.

 

Text: Leon Strohmaier

Illustrationen: Tim Möller-Kaya