Der Brandenburger Wünschewagen bringt sterbenskranke Menschen an ihre Sehnsuchtsorte. Für Ingrid Pott ist es ein Kreuzfahrtschiff. Wir haben Sie auf ihrer letzten Reise begleitet.

Die Sonne glitzert durch die verdunkelten Panoramafenster, kleine Lichter funkeln an der Wagendecke und als der Mercedes Sprinter losrollt, huscht ein Lächeln über Ingrid Potts Gesicht. Die 83-jährige Brandenburgerin aus Falkensee ist aufgeregt an diesem sommerlichen Morgen: Denn es wird ihre letzte Reise sein. Ingrid Pott ist unheilbar an Krebs erkrankt, wie viele Tage oder Wochen sie noch leben wird, weiß niemand. Doch heute zählt für sie nur eines: „Ich fahre noch einmal an die Ostsee.“ In Warnemünde soll ihr letzter Wunsch wahr werden: Sie will gemeinsam mit ihrer Familie an einer Führung auf einem Kreuzfahrtschiff teilnehmen.

Möglich macht die Tour das Projekt „Wünschewagen“ des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Brandenburg. „Wir wollen todkranken Menschen eine letzte Chance geben, ihre Träume zu erfüllen“, sagt Jürgen Haase, ASB-Landesgeschäftsführer. Im umgebauten Krankentransportwagen werden die Gäste an ihre Wunschorte gebracht, kostenlos und über Ländergrenzen hinweg. Das Projekt ist ausschließlich durch Spenden finanziert, aber eine Wünschefahrt ist an Bedingungen geknüpft: Wer an einer unheilbaren Krankheit leidet, kann nur auf Tour gehen, wenn der behandelnde Arzt das Okay gibt und eine Patientenverfügung vorliegt. Vom Hospiz in Berlin-Spandau aus startet die Tour von Ingrid Pott. Wälder, Felder und ein Fluss rauschen am Fenster vorbei. Ab und an fallen ihr die Augen zu. Wenn sie aufwacht, erzählt sie von ihrem Mann, der in Rostock aufgewachsen ist, von Sommertagen mit den beiden Töchtern am Ostseestrand und vom gemeinsamen Traum, eines Tages eine Kreuzfahrt nach Sankt Petersburg zu unternehmen. Doch dazu kam es vor seinem Tod nicht mehr.

Der Kapitän begrüßt Ingrid Pott persönlich

Unterwegs hat Ingrid Pott Durst, Daniela Hoffmann reicht ihr Wasser. Die medizinische Fachangestellte und der Anästhesiepfleger Manuel Möller begleiten die Tour ehrenamtlich. Auch Marco Roscher, Koordinator des Brandenburger Projekts, ist als ausgebildeter Rettungssanitäter mit an Bord. Immer müssen mindestens zwei Leute vom Wünschewagenteam dabei sein, darunter ein ausgebildeter Rettungsassistent und ein Helfer mit medizinischem Beruf. Touren, die Manuel Möller als Helfer begleitet hat, seien keine traurigen Fahrten gewesen, erzählt er. „Das Sterben steht für die Fahrgäste an diesem Tag nicht im Vordergrund, sondern der Ausflug.“ Das Fahrtempo wird langsamer. Das Wünschemobil rollt in den Hafen von Warnemünde.

Als sich die Türen des Sprinters öffnen, sieht Ingrid Pott ihre Familie. Tochter Peggy nimmt ihre Mutter in die Arme, dann geht es weiter mit den Enkeln und Urenkeln zum Kreuzfahrtschiff. Aida-Kapitän Falk Bleckert begrüßt seinen Tagesgast persönlich. Ingrid Pott schwärmt: „So ein großes Schiff habe ich noch nie aus der Nähe gesehen.“ Nach einer Führung und dem Mittagessen ist es Zeit für die Rückfahrt. „Wenn unsere Fahrgäste am Ende des Tages mit einem Lächeln ,Tschüss‘ sagen, haben wir alles richtig gemacht“, sagt Koordinator Marco Roscher. Als später der Wünschewagen heimwärts abfährt, lächelt Ingrid Pott. (Vielleicht: Als der Wünschewagen schließlich heimfährt, verraten die Mundwinkel von Oma Ingrid: Marco Roscher und sein Team haben ihr Ziel erreicht.)


Ingrid Pott erlag neun Tage nach der Fahrt ihrer Krankheit. Noch bis zuletzt sprach sie über ihre Reise.

 

Autorin und Fotos: Diana Bade