Ingo Rauf aus Eichwalde gibt mit seiner Harley Toten das letzte Geleit. Als Gespannfahrer sorgt er für einen würdevollen „Biker-Abschied“. Wir haben ihn begleitet.

Was bleibt vom Menschen, wenn er stirbt? Eine philosophische Frage, auf die sich nicht leicht eine Antwort finden lässt. Nach reiflicher Überlegung wird man vielleicht zu dem Schluss kommen, dass Verstorbene vor allem ein immaterielles Vermächtnis, Erinnerungen oder Erlebnisse im Diesseits zurücklassen.

Dabei bleiben uns Leidenschaften und Hobbys genauso im Gedächtnis wie überzeugende Familienrollen. Kurzum, ein Mensch ist, was er liebt, auch nach dem Tod.

Ingo Rauf aus Eichwalde bei Berlin gibt mit seiner Harley Toten das letzte Geleit

Ingo Reif folgt keinem Schema F

Für Ingo Rauf aus Eichwalde bei Berlin ist das keine Binsenweisheit, sondern Teil einer tiefen Überzeugung. Dem Bestatter eilt der Ruf voraus, besonders kreativ zu sein. Er blickt gern über den Tellerrand: „Viele Bestattungshäuser ticken sehr traditionell. Gegen diesen verstaubten, fast schon lieblosen Umgang hatte ich schon immer was.“

Und er fügt hinzu: „Ich habe Freude an meiner Arbeit und ermuntere Angehörige deshalb, der Individualität des Verstorbenen gerecht zu werden.“ Für Rauf sind diese Verstorbenen nicht einfach nur Tote, sondern frühere Urgroßmütter, Bergsteiger, Abenteurer, Weltreisende; oder eben Motorradfahrer.

Bestatter Ingo Rauf

Motorradfahren bis zum Schluss

Nein, ihm geht es nicht um die pessimistische Beziehung zwischen Motorradfahren und Tod. Bestatter Rauf weiß zu gut, dass die meisten Menschen ein Leben lang Motorrad fahren und aus völlig anderen Gründen sterben.

Als Teilzeit-Biker ist ihm aber auch klar, dass Motorradfahrer eine besonders enge Beziehung zu ihrem Hobby, ihrem Fahrzeug und ihren Freunden pflegen. Es ist eine Lebenseinstellung.

Für den engagierten 52-Jährigen war die Anschaffung seines äußerst unkonventionellen Bestattungsmotorrads deshalb nur logisch: „Biker fühlen sich ihrem Gefährt oft ein Leben lang verbunden.“ Der „Biker-Abschied“ verlängert diese Beziehung.

Individuelle und zeitgemäße Bestattungen sind längst ein Trend

Je passender eine Beerdigung ausgerichtet wird, umso besser können Hinterbliebene auch mit dem Verlust leben. Raufs schwarze Harley mit dem stattlichen Beiwagen an der Seite leistet dazu einen Beitrag.

Ingo Rauf transportiert mit der imposanten Maschine Urnen und
Särge feierlich geschmückt zur letzten Ruhestätte. Durch große Fensterflächen können Familie und Freunde ganz behutsam Abschied nehmen. Menschen, die zu Lebzeiten mit ihrem Zweirad unterwegs waren, müssen so selbst auf ihrer allerletzten Fahrt nicht auf das Motorrad verzichten.

“ Es gibt kein Statusdenken zwischen Motorradfahrern“

Eigentlich wollte Rauf nur einen normalen Dienstwagen kaufen, als er 2014 auf einer Fachmesse über die ganz spezielle Harley stolperte. „Das Konzept hat mir sofort gefallen, auch weil es zwischen Motorradfahrern nur klassenlosen Zusammenhalt und kein elitäres Statusdenken gibt“, berichtet er. Die Idee stammt von Jörg Grossmann, der die Maschinen – mit besseren Bremsen und Rückwärtsgang – bereits in mehrere Bundesländer und ins Ausland verkauft hat.

Ingo Rauf ist seit 2018 der Spezialist für die Region Berlin-Brandenburg. Und er hat das ohnehin spezielle Gefährt noch weiter optimiert, beispielsweise mit einem repräsentativen Podest für Urnen. Das solide Gespann wirkt damit nicht einmal vor der Friedhofskapelle deplatziert, während sich die Baumwipfel und das Kreuz im Lack spiegeln.

Die Harley ist mit 2,27 Metern breiter als ein VW-Bus

Die Harley wird zum kolossalen Dreirad

Die 91 PS starke Softail macht eine gute Figur. Selbst am bassigen Blubbern aus dem Chromauspuff habe sich an einem so sensiblen Ort auch noch niemand gestört, so Rauf. „Das Fahren will aber gelernt sein“, gibt er zu. Denn mit dem großräumigen Beiboot wird aus dem Einspur-Fahrzeug ein kolossales Dreirad. „Die Harley ist mit 2,27 Metern breiter als ein VW-Bus. Und die Lenkung sehr speziell.“

Maximal 120 Sachen läuft die Maschine, wenn sie mit behelmten Trauergästen im Windschatten und Ingo Rauf hinterm Lenker zur finalen Lieblingstour aufbricht. Am Ende einer Ausfahrt steht dann immer das gleiche Ziel, die letzte Ruhestätte. Wie heißt es so schön – einmal Biker, immer Biker.

Text und Foto: Sven Wedemeyer