An einem Verkehrssimulator proben Polizisten in Hamburg den Ernstfall. Unser Autor Hans Pieper hat sich hinter das Steuer gesetzt und in einer virtuellen Stadt eine Einsatzfahrt absolviert.
„Ehestorfer Heuweg Höhe Sennhütte, Verkehrsunfall mit verletzter Person, Rettungswagen unterwegs, Sonderrechte zugelassen!“ Der Funkspruch ist mein Startsignal. Noch etwas unsicher gebe ich Gas. Das flackernde Blaulicht spiegelt sich auf der regennassen Straße. Doch auf einer Kuppe ist plötzlich Schluss: Ein Pannenauto blockiert meine Spur. Trotz Martinshorn lässt der Gegenverkehr nicht genügend Platz.
Das Verhalten der anderen Autofahrer beruht nicht auf Trotz, sondern auf einer Fehleinschätzung. Sie glauben, dass ich zu dem Pannenfahrzeug will. Wertvolle Zeit verstreicht, bis sich eine Lücke auftut. Doch glücklicherweise hängt kein Menschenleben von meinen Fahrkünsten ab. Die entgegenkommenden Autos bestehen nicht aus Blech, sondern aus Bits und Bytes. Trotzdem kommt Stress auf. Schließlich werde ich von Fahrtrainer Arne Oehlke sowie einem halben Dutzend Polizisten beobachtet. Denn ich sitze in keinem Peterwagen, sondern im Verkehrssimulator der Polizei Hamburg.
Seit Februar kann die Polizei hier Einsatzfahrten virtuell trainieren. Armaturenbrett, Lenkrad und Pedalerie sind aus einem PKW entlehnt. Fünf Bildschirme sowie druckluftbetriebene Stempel unter dem Sitz vermitteln ein recht realistisches Fahrgefühl. Die Grafik ist nicht mit aktuellen Videospielen vergleichbar, reicht aber für ein vollständiges Eintauchen in die virtuelle Welt aus.
Auf über 60 Szenarien können der Fahrtrainer Arne Oehlke und der Leiter der Fahraus- und -fortbildung Niels Amelsberg zugreifen. Im überraschend realistisch simulierten Verkehr durch eine Fantasiestadt treffe ich nicht nur auf das defekte Auto an der Kuppe, sondern auch auf einen Fußgänger, der vor einem Bus plötzlich auf die Straße läuft. Nur mit Not kann ich verhindern, dass er seinen Leichtsinn mit seinem virtuellen Leben bezahlt. Erschöpft und erleichtert erreiche ich nach fünf Minuten die Unfallstelle.
Schnell erweist sich, dass der Kindheitstraum einer Blaulichtfahrt in Wirklichkeit äußerst anstrengend ist. Die Fahrt hat mir auch erst bewusst gemacht, wie unglaublich nervig das Martinshorn sein kann. Als Passant hört man es nur wenige Sekunden im Vorbeifahren, im Polizeiwagen legt es sich ständig auf die Ohren.
Arne Oehlke und Niels Amelsberg zeigen sich einigermaßen zufrieden. Zwar war ich insgesamt ein bisschen zu zögerlich und damit langsam, doch wenigstens blieben Auto und Mitmenschen heil.
Wer im Simulator brilliert, darf aber noch lange nicht auf der Straße fahren. „Vorab sind ein Praktikum als Beifahrer im Streifenwagen Pflicht, außerdem schließen sich Lehrgänge auf Verkehrsübungsplätzen im Anschluss an. Das muss jeder angehende Polizist durchlaufen“, erklärt Fahrausbildungsleiter Amelsberg, während er einer jungen Polizistin im Simulator über die Schulter schaut. Auf dem Bildschirm verstopfen verwirrte digitale Autofahrer eine Kreuzung, die Auszubildende weicht über eine Nebenstraße aus.
Auf meiner Fahrt nach Hause höre ich vor einer Ampel ein echtes Martinshorn – und mache sofort Platz. Während der Polizeiwagen an mir vorbeifährt, bin ich froh, dass ich mich nur mit vergleichsweise normalen Verkehrssituationen beschäftigen muss. Nach dem Tag am Steuer des Blaulichtsimulators ist mein Respekt vor den Einsatzkräften nochmals gestiegen.
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Autor: Hans Pieper
Fotos: Dennis Williamson