Oft fehlte zukunftsweisenden Technologien nur ein winziges Puzzlestück zum Durchbruch. Ein solches könnte nun die Elektroautomobil-Branche im Westen Berlins finden.

Wenn Orte sprechen könnten, hätten die 430.000 Quadratmeter des Berliner Westhafens so einiges zu erzählen. In seinen knapp 100 Jahren schwang sich das Areal der Behala (Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe) zum wirtschaftlichen Epizentrums Berlins auf, überlebte trotz erheblicher Zerstörungen den zweiten Weltkrieg und hat sich ungeachtet des massiven Rückgangs des Schiffverkehrs bis heute seinen Platz im Stadtbild bewahrt. Auch über mangelndes mediales Interesse kann sich der Hafen mit seinen signifikanten Backsteingebäuden nicht beschweren, diente er doch schon als Kulisse für zahlreiche Edgar-Wallace-Werke und ARD-Tatorte.

Künftig könnte der Westhafen auch als jener Ort in die Geschichte eingehen, der der Elektro-Mobilität endgültig zu ihrem Durchbruch verholfen hat. Denn hier, versteckt in einem der letzten Winkel, zwischen Laderampen und Lagerhallen, befindet sich ein unscheinbarer Baucontainer, der die entsprechende Technik beherbergt: die erste vollautomatische Batterie-Wechselstation (BWS) für Pkw in Europa.

Die E-Tankstelle der Zukunft

Entwickler INFRADianba, ein Joint Venture aus dem chinesischen Partner Aulton Dianba Co. Ltd. und dem deutschen Partner INFRAMobility GmbH, nennt sie die die E-Tankstelle der Zukunft; manch Mobilitäts-Experte traut der neuen Technologie nicht weniger als die entscheidende Rolle des Gamechangers zu. Sie könnte die Diskussion um alternative Antriebstechnologien in neue Bahnen lenken, wie etwa Bernd Stary, Gründer des internationalen Urban Mobility Dialogues und Berliner Nachhaltigkeits-Spezialist, orakelt: „Diese Technik wäre nicht nur eine Ergänzung zur aktuellen Infrastruktur, sondern würde auch auf Anhieb eine entscheidende Schwachstelle der E-Mobilität schließen.“

In erster Linie meint Stary weniger das Ladesäulennetz als viel mehr die Ladezeiten, die im Durchschnitt rund zehn Stunden (30-kWh-Akku an einer simplen 3,7-kW-Wallbox), im Idealfall aber immer noch 1,5 Stunden betragen (22-kW-Wallbox nach Genehmigung des örtlichen Netzbetreibers). Ein schmerzhafter, oft nicht hinnehmbarer Einschnitt für den Autofahrer, dessen Gefährt doch wie kein anderes für Unabhängigkeit und Freiheit stehen soll – ganz egal, ob E-Antrieb, Diesel oder Benziner.

Drei Minuten für einen “Ladevorgang”

Zwischen einer leeren und und einer vollen Batterie liegen in den Wechselstationen von INFRADianba knapp drei Minuten. Der Fahrer manövriert seinen Pkw die Rampe zur Anlage hinauf, ein Schlitten fährt unter das Fahrzeug, zieht die leere Batterie heraus, schließt diese an eine Ladestation und montiert eine andere, vollgeladene Batterie.

Hemmschuh: die patentierte Technik ist nicht fahrzeug-unabhängig einsetzbar. Aktuell können nur Fahrzeuge des chinesischen Autoherstellers Baic in die 18qm große Wechselstation fahren. Laut Technik-Koordinator Jörg Hellhammer von der INFRAMobility GmbH könnte dies aber schon bald der Vergangenheit angehören: „Die Batterie-Rahmen, die für die Nutzung der Stationen erforderlich sind, kann jeder Autobauer adaptieren und seine Batterietechnik problemlos einsetzen. Der Stein muss nur noch ins Rollen kommen“.

VW testet, die Taxiinnung hofft, der Senat prüft

Und dieser Stein rollt bereits: VW testet die für die Standardisierung erforderlichen Batterie-Rahmen bereits in computerbasierten Crashtest-Simulationen. Der Wolfsburger Konzern will damit in der Taxi-Branche Fuß fassen. Die Tesla-Pläne einer Gigafabrik für Auto- und Batterie in Brandenburg könnten weitere Autobauer zum Handeln bewegen.

Nur so wäre die Elektromobilität wirtschaftlich für uns | Bernd Stumpf, Berliner Taxivereinigung

Auch INFRADianba zielt mit ihrer BWS zunächst auf Fahrzeugflotten ab. In Berlin, so der ehrgeizige Plan des Joint Ventures, sollen in den kommenden acht Jahren rund 70 Stationen für die weitgehende Elektrifizierung der mehr als 8.000 Taxis (mehr als 3.000 Taxiunternehmen) sorgen. Für Bernd Stumpf von der Berliner Taxivereinigung kann dies gar nicht schnell genug gehen: „Wenn wir die Berliner Taxiflotte komplett elektrifizieren wollen, gibt es für mich keine Alternative zu diesen Stationen. Denn nur so wäre die Elektromobilität wirtschaftlich für uns, ohne die Taxis stundenlang irgendwo abstellen zu müssen.“

Anders als Stumpf scheint der Berliner Senat angesichts der Wechselstationen uneins. Während die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz die Technologie-Entwicklung beobachtet und die Einsatzmöglichkeiten der Stationen für eher begrenzt hält, zeigt sich die Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe Ramona Pop aufgeschlossen. Nach einem ersten Besuch der BWS am Westhafen laufen die Gespräche ihrer Verwaltung mit INFRADianba. Eine Pilotstation im innerstädtischen Straßenland könnte bereits in diesem Jahr realisiert werden.

Fakten zu BWS

  • In Peking versorgen aktuell 140 solcher Stationen bis zu 10.000 Taxis
  • Ressourcenschonend: Der Rahmen, in dem die Batterie verbaut ist, ermöglicht das Austauschen einzelner Zellen. Die Leistungsfähigkeit der Batterien wird durch die BWS ständig gemessen.
  • Weiterer Vorteil der BWS: Durch die Trennung des Mobilitäts- vom Ladevorgang kann die Wiederaufladung des Akkus ausreichend langsam und somit schonender erfolgen. Das führt zu einer Batterielebensdauer von bis zu 12 Jahren (aktuell je nach Nutzung 5 – 10 Jahre) und zu einer kontinuierlichen Entlastung des Netzes.
  • Der Aufbau einer BWS (Basisversion) dauert in etwa vier Stunden. Kostenpunkt der modular erweiterbaren Konstrukts: 1.3 Mio. €.
  • Ähnliche BWS gibt es auch für Busse und Lkw. Für das Land Berlin, das bis 2023 106 Mio. € für die Elektrifizierung der BVG-Busflotte einplant, könnte diese Technologie zum Einsatz kommen. Laut Sprecher Thomsen „werden in den kommenden Jahren unterschiedliche Ladetechniken probiert.“ Für die Fahrleistung, die derzeit 1500 Dieselbusse (2019) in Berlin erbringen, werden 1875 E-Busse benötigt.

 

Text: Leon Strohmaier