Mit einem Verkaufswagen versorgt die Fleischerei Wolf aus Vielank die Orte in der Umgebung. Der rollende Laden ist dabei viel mehr als nur eine Einkaufsmöglichkeit: Er gehört fest zum Dorfleben.
Als der rot-weiße Verkaufswagen in der engen, von Schlaglöchern zerfressenen Lehmstraße im Ort Kamerun anhält, drückt Ivonne Ponert mehrmals kräftig auf die Hupe. Kurz darauf öffnet sich bei einem Haus die Türe und eine vom Alter gebeugte Frau mit Gehstock macht sich auf den Weg zur mobilen Fleischerei. Auch wenn ihr das Laufen sichtlich schwer fällt, ist ihr die Freude über den mobilen Laden deutlich anzusehen.
Angetrieben von einem kleinen Motor wird eine große Seitenklappe des Transporters zum Dach vor dem Verkaufstresen. Das Angebot dahinter ist vielseitig: Neben Fleischspezialitäten und Salaten aus eigener Herstellung finden sich hinter dem Glas auch Fisch, eine kleine Auswahl an Obst und Gemüse, Frühstücksaufstrichen, Käse und Süßigkeiten. Nach einer fröhlichen Begrüßung der beiden Verkäuferinnen gibt die alte Dame routiniert ihre Bestellung durch. Dazwischen bleibt Zeit für ein Gespräch.
„Das ist so praktisch, ich komme ja sonst nirgends mehr hin“, erklärt sie, bevor sie sich dankbar verabschiedet und auf den kurzen, aber beschwerlichen Heimweg macht.
Angebote wie die fahrende Fleischerei werden in der Region dringend gebraucht: Mecklenburg-Vorpommern ist ein dünn besiedeltes Flächenland. Nur im Saarland und in Bremen wohnen weniger Menschen. Gleichzeitig liegt der Altersdurchschnitt hoch: Mit 46,5 Jahren gibt es nur vier Bundesländer, die einen noch höheren Wert aufweisen. Die ländliche Struktur mit wenigen, älteren Dorfbewohnern hinterlässt Spuren: In den allerwenigsten der 21 Orte, die der Wagen der Fleischerei Wolf ansteuert, gibt es überhaupt irgendeine Einkaufsmöglichkeit. Doch der mobile Laden ist mehr als nur ein Warenlieferant: Für zahlreiche Kunden beginnt mit dem Hupen in der Straße ein Tageshighlight.
„Wir sind ja nicht nur die Verkäufer, an vielen Stellen sind wir auch so eine Art Dorftreff oder sogar Kummerkasten. Besonders alte Leute haben den restlichen Tag niemandem zum Reden und wir unterhalten uns hier immer ganz nett“, erzählt die Verkäuferin Gisela Juhls. Seit 30 Jahren ist sie mit dem Fleischerei-Mobil unterwegs. Inzwischen ist sie in Rente, doch freitags unterstützt sie die Kollegin Ivonne Ponert. Und das ist auch notwendig: Das Angebot ist vielgefragt. Selbst an Stationen, die auf den ersten Blick überhaupt keine Anwohner in der Nähe haben, kommen nach dem Hupen plötzlich zahlreiche Menschen an den Verkaufsstand.
„Der Job bringt viel mehr Abwechslung als in einem Laden und die persönlichen Kontakte sind auch viel intensiver, das gefällt mir“, erklärt Gisela Juhls ihre Motivation. Anstrengend wird es nur, wenn es besonders heißt oder kalt im Wagen ist. „Aber da ziehen wir uns dann entsprechend an“, ergänzt ihre Kollegin Ivonne Ponert. Wenn sie auf die Toilette müssen, können die beiden sich auf ihre Stammkunden verlassen. „Komm doch kurz rein“, heißt es dann.
Inzwischen hat die mobile Fleischerei am Ende einer Sackgasse in Neu Göhren an einem größeren Haus gehalten, der Revierförsterei. Auf das Hupen hin kommt eine Stammkundin zum Wagen und erledigt ihren Wocheneinkauf. „Ich nutze das jetzt schon seit 15 Jahren“, erklärt sie freudig. „Wenn der Schlachter hier aufhört, sieht es schlecht aus“.
Die Idee für eine mobile Fleischerei entstand aus der Not heraus. „Nach der Wende gab es immer weniger Kunden im Laden in Vielank, also haben wir uns auf den Weg zu den Leuten gemacht“, erklärt Gisela Juhls. „Man sieht das schon deutlich, dass immer mehr Wohnungen leer stehen. Viele Stammkunden versterben, aber es kommen auch immer wieder mal neue dazu“. Die beiden Verkäuferinnen spüren deutlich, dass es Gebiete auf der Tour gibt, die langsam ausbluten.
60 bis 80 Kilometer legt der Verkaufswagen täglich von Dienstag bis Samstag zurück. Mit den Touren wird eine Versorgungslücke geschlossen, die besonders älteren Menschen länger ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen kann. Doch auch junge Menschen gehören zu den Kunden. „Die schätzen, dass wir unsere Produkte noch selbst herstellen“, erklärt Ivonne Ponert.
Ab und zu treffen auch während der Fahrt Kunden auf den Wagen. „Manchmal benutzen sie die Lichthupe und dann halten wir kurz an, wenn das geht, damit sie ihren Einkauf auf dem Weg von der Arbeit erledigen können“.
Gerade in Zeiten, in denen zwar viel nach Hause geliefert werden kann, dabei aber die menschliche Interaktion verloren geht, ist der rollende Laden der Fleischerei Wolf eine willkommene Gelegenheit, direkt zu Hause einzukaufen – und trotzdem lokale Anbieter zu unterstützen.
Autor: Hans Pieper
Bilder: Christian Rödel