Es wird ja viel über die deutsche Bürokratie geschimpft – aber an dem Tag, an dem die Norderelbbrücke geprüft wird, freut man sich über den Aufwand, der betrieben wird.
Die Ellerntorsbrücke ist vielleicht seine liebste, sagt Kay Ahrens. Allerdings geht es an diesem Tag nicht um die pittoreske Rundbogenbrücke in der Hamburger Innenstadt, sondern um die Norderelbbrücke. Blau schimmert die Brücke gegen den blassen Himmel, rote Spannseile halten die Konstruktion, Autos und Laster schieben sich im Schneckentempo über den Asphalt. Zweieinhalb Tage lang wird die Überleitung von der A 255 auf die A 1 auf Herz und Nieren geprüft.
Kay Ahrend ist, wie er selbst salopp formuliert, der Hausmeister der Hamburger Brücken. Seine exakte Berufsbezeichnung liest sich allerdings etwas komplizierter: Fachbereichsleiter für das Bestandsmanagement der konstruktiven Ingenieurbauwerke. 37 Ingenieure gehören zu seinem Team, etwa 500 bis 600 Brücken werden jährlich untersucht. Natürlich spricht man den 58-Jährigen auch auf die Katastrophe in Genua an und fragt nach, ob es auch bei uns in Deutschland zu einem solchen Unglück kommen könnte. „Natürlich gibt Brücken, die uns Sorgen machen“, bestätigt Ahrens. Dass die Brücken in kaum einem Bundesland so marode sind wie in Hamburg, ist kein Geheimnis, allerdings sind die Kontrollmechanismen bei uns andere als in Italien: Alle sechs Jahre findet eine Hauptprüfung statt, alle drei Jahre ein kleiner Check, bei Bedarf wird öfter untersucht. So wie heute. Kay Ahrens erklärt, was geschieht: „Bei dieser Sonderprüfung geht es darum, ob die Brücke den tatsächlichen Traglasten standhalten kann. Die Rechenergebnisse werden mit der Sichtprüfung verifiziert und in einem Rechenzentrum durchgespielt.“ Oder anders gesagt: Von Freitagmittag bis Sonntagabend hängen insgesamt rund 60 Ingenieure in fünf Tagesschichten in speziellen Teleskopkränen unter der Brücke, sehen sich jeden Zentimeter an, fotografieren jeden Zipfel – und hinterher wird ein Computer mit den Daten gefüttert.
Die Norderelbbrücke ist eine Stahlkonstruktion, schlicht ist sie, schlank mit zwei über 60 Meter hohen Pylonen, schön anzusehen – aber ziemlich alt. 1963 wurde die Schrägseilbrücke gebaut, zwanzig Jahre später „ertüchtigt“, das heißt, unter anderem veränderte man die Seilaufhängung und versah die Außenbahnen mit zusätzlichen Stahlblechen. „Es ist ein sehr leichtes und leistungsfähiges Bauwerk“, erklärt Ahrends. Stahlbrücken sind seine angenehmeren Patienten, weil sie sich verstärken und schweißen lassen. „Das geht mit Beton nicht.“
Der Baustoff ist zudem deswegen tückisch, weil es zu einer Alkali-Kieselsäure-Reaktion kommen kann und sich das Material zersetzt. Die Norderelbbrücke hingegen kann nur eins: rosten. Und unter der zunehmenden Masse an Fahrzeugen leiden, von der in den 50ern, als die Brücke konstruiert wurde, noch keiner etwas ahnen konnte. 117.000 Fahrzeuge donnern heute pro Tag über den Asphalt, der Anteil des Schwerlastverkehrs beträgt ein Viertel, dazu haben die Sonderschwertransporte bis 200 Tonnen zugenommen – und die Tendenz ist steigend. Die Lebensdauer der Brücke ist hingegen begrenzt: Etwa zehn Jahre muss das Bauwerk noch halten, dann wird Rahmen des Ausbaus der A 1 eine neue Überführung über den Fluss gezogen. Dann war es das mit der zarten Norderelbbrücke.
Autorin: Wiebke Brauer
Bilder: Dennis Williamson