Die mobile Achterbahn Drifting Coaster wiegt 300 Tonnen – und tourt von Volksfest zu Volksfest. Ein Blick hinter die Kulissen einer logistischen Meisterleistung.

Die Ruhe vor dem Dom: Die fertig aufgebaute Bahn wartet auf Freigabe

Nervös läuft Mike Ahrend vor seinem Drifting Coaster auf und ab. In wenigen Minuten werden die Mitarbeiter des TÜV Nord ankommen und seine Achterbahn genau unter die Lupe nehmen. Sein Sohn Marlon checkt unterdessen ein letztes Mal die Schiene kurz hinter der Station. Ein breiter Hut schützt ihn vor der aufgehenden Sonne. Nach dem Regen der vergangenen Tage wird das Wetter pünktlich zur Eröffnung des Hamburger Doms wieder schön. Mike schaut auf die Uhr. In sechs Stunden beginnt das Volksfest. Ob dann auch die Wagen des Drifting Coasters mit ihren schwingenden Sitzen über die blauen Schienen hinweghuschen werden, entscheidet sich in den nächsten Minuten.

Die Startbox trägt den Beginn des Kettensegments

Drei Tage zuvor zur selben Zeit haben Mike, sein Sohn Marlon und zehn Hilfskräfte mit dem Aufbau der Bahn begonnen. Im ersten Schritt wird dabei das Schienenteil mit dem Beginn der Kette ausgerichtet, das fest auf einem Stahlgerüst verschweißt ist. Diese Startbox dient als Ausgangspunkt für den Aufbau der 43 Mal 22 Meter großen Attraktion.

Marlon Ahrend steuert den Kran für den Aufbau

Mit einem mobilen Kran, an dessen Steuer der 19-Jährige Marlon sitzt, werden anschließend die Stahlträger für das Grundgerüst bereit gelegt. Sofort versammeln sich mehrere Arbeiter mit Schutzhelmen um die Teile und verbinden die Stangen mit routinierten Griffen. Farben und Zahlen auf den Teilen stellen sicher, dass alles korrekt aufgebaut wird.
Innerhalb weniger Stunden entsteht so ein Gitternetz, das später die Bahn samt Station sicher trägt. Keine einfache Aufgabe, denn der Boden auf dem Festplatz ist alles andere als eben. Mit einem Lasermessgerät wird ständig überprüft, ob die Stangen auch wirklich gerade ausgerichtet sind. Stabile Holzklötze unter der Konstruktion helfen dabei, Unebenheiten auszugleichen. Zum Teil beträgt der Unterschied zum Boden fast einen Meter.

 

Mike Ahrend überwacht den Aufbau mit kritischem Blick

Der Aufbau ist ein harter, anstrengender Job, doch die Arbeiter verrichten ihn ohne Murren, selbst als die ersten Regentropfen fallen. Mike und Marlon haben derweil den Aufbau genau im Blick, achten auch jede noch so winzige Kleinigkeit. „Man darf nie vergessen: Wir machen hier Personenbeförderung. Da steht die Sicherheit an oberster Stelle“, erklärt Mike. Im Hintergrund wird die erste Stütze für die Schiene aufgebaut. Am späten Nachmittag schwebt die erste Schiene über das Stahlgerüst an ihren Platz, wo sie sicher verschraubt wird.

Über drei Tage hinweg werden Stück für Stück die insgesamt zehn Lastwagen entladen, die nicht nur die Schienen, sondern auch die Wagen, das Kassenhäuschen und die gesamte Technik für die Bahn mitbringen. „Die wichtigste Voraussetzung für das Layout einer transportablen Achterbahn ist, dass die Streckenteile auf die Lastwagen passen. Eine noch so schöne Neigung oder Kurve nützt mir nichts, wenn ich dann nur eine Schiene auf den LKW bekomme“, erklärt Mike am zweiten Tag, als immer mehr Schienenteile ihren Platz finden.

 

In den Kurven schwingen die Wagen des Drifting Coaster aus

Ein weiterer wichtiger Faktor: Der Besonderheitswert. Und den bringt der Drifting Coaster gleich mehrfach mit. Die Anlage ist weltweit einzigartig. Während das Layout stark an einer klassischen Wilden Maus angelehnt ist, haben die Wagen eine große Besonderheit: Sie können in den Kurven bis zu 120 Grad ausschwingen. Zudem kann die Fahrt sowohl vorwärts als auch rückwärts absolviert werden. Besonders für Achterbahnfans ist die Bahn daher eine Art Leckerbissen, zumal der Coaster zum ersten Mal auf dem Hamburger Dom aufgebaut wird.

Auch eher ungewöhnlich ist das Alter der Achterbahn: Die Attraktion des französischen Herstellers Reverchon wurde erst 2016 gebaut. Die meisten transportablen Achterbahnen sind deutlich älter. Das liegt vor allem an den Kosten. Im Gegensatz zu ebenfalls sehr aufregenden, kleineren Attraktionen, die ihre Fahrgäste in Gondeln durch die Luft wirbeln, ist ein mobiler Coaster komplizierter und langwieriger im Aufbau, benötigt mehr Platz und mehr Lastwagen zum Transport.

Offride: So sieht der Drifting Coaster während der Fahrt aus:

Doch der Seltenheitswert hilft. „Wenn man sich für einen Platz auf einem Volksfest bewirbt, steigen die Chancen, dass man den Zuschlag bekommt stark, wenn man etwas Einzigartiges bietet, das die Leute anzieht“, sagt Mike, bevor er den Einsatz der Schiene, auf der die Achterbahnwagen sitzen, in die Bahn koordiniert. Seit 30 Jahren ist er mit unterschiedlichen Attraktionen unterwegs. An der Bahn, seiner neuesten Anschaffung, hat er sichtlich Freude.

 

Zuhause auf Rädern: In diesem Wohnwagen leben die Ahrends die meiste Zeit des Jahres

Der Drifting Coaster sieht am Morgen des dritten Aufbautages bereits fertig aus, doch es fehlen noch viele Details wie etwa die große LED-Wand, die später Besucher anlocken soll. Das Team macht eine kurze Pause. Mike und Marlon ziehen sich in ihren Wohnwagen zurück, um eine Kleinigkeit zu essen.
Von März bis Dezember sind sie in diesem Jahr immerzu auf Achse, fahren von Volksfest zu Volksfest. Dabei jonglieren die beiden ständig mit Terminen und Kosten. Denn nicht nur Aufbau, Betrieb und Wartung der Achterbahn sind teuer: Auch der Transport macht einen großen Teil der Kosten aus. Deshalb versuchen Vater und Sohn, Veranstaltungsorte anzusteuern, die möglichst nah beieinander liegen. Doch das ist nicht so einfach: Die Städte und Kommunen entscheiden zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Am Ende der Saison, nach dem Hamburger Winterdom, steht noch fast keine Station für das kommende Jahr fest.

 

Das Leben unterwegs gefällt den beiden. „Das ist einfach mein Traumberuf. Ich bin sehr gerne unterwegs, mag den Aufbau, mag den Betrieb und das viele Reisen finde ich schön“, sagt Marlon. Ein festes Zuhause haben sie in Hannover. Auf dem 50.000 Quadratmeter großen Gelände werden die drei Fahrgeschäfte der Familie im Winter eingelagert und grundlegend gewartet. Für drei Monate herrscht dann fast eine Art Ruhe. Gleichzeitig ist es die einzige Zeit im Jahr, in der Urlaub möglich ist. Doch aus der Branche auszusteigen oder mit einem Freizeitpark sesshaft zu werden, wie es andere Kollegen schon gemacht haben, kommt weder für Marlon noch für den 49-jährigen Mike in Frage. Zu sehr hängen sie an ihrer Bahn und dem Leben unterwegs.

Sören Schwartz vom TÜV Nord schaut bei der Gebrauchsabnahme genau hin

Vier Mitarbeiter des TÜV Nord tauchen auf, als Mike gerade ein Gespräch mit einem Schaustellerkollegen nebenan begonnen hat. Als erstes wird in der Station eine ganze Menge an Papierkram geprüft. Passt bei der Zulassung alles? Wurden die vorgeschriebenen Wartungen durchgeführt? Im Anschluss klettert Alex Schefner mit Helm und TÜV-Nord-Pulli auf die Bahn und schaut sich die Schienen genau an. Besonders abgesehen hat er es auf die Bremsen. Sein Kollege Philipp Wagner leuchtet in der Station mit der Taschenlampe die Räder der Wagen aus und prüft die Bügel.

TÜV Prüfer Alex Schefner bereitet sich auf die Strecken-Kontrolle vor

Offiziell heißt das, was hier gerade passiert „Gebrauchsabnahme“. Für die ist die Baubehörde zuständig, die in Hamburg durch den TÜV Nord gestellt wird. Auch wenn es sich nicht um eine klassische TÜV-prüfung handelt, wird genau hingeschaut. Das ist auch ganz im Sinne von Mike. „Wenn da etwas ist, dann sollen die das auch finden. Wir prüfen selbst natürlich auch immer ganz genau, aber alles kann man nicht immer sehen. Deshalb bin ich auch froh, dass noch einmal jemand genau hinsieht“.
Inzwischen steht Marlon neben ihm. Beide wirken sichtlich angespannt. Wird jetzt ein größerer Defekt festgestellt, hieße das nicht nur, dass die beiden etwas Grundlegendes übersehen haben. Zusätzlich würde der Dom ohne sie eröffnet. Neben dem finanziellen Schaden kämen noch Imageeinbußen hinzu, denn wenn eine Bahn nicht eröffnen kann, spricht sich das auch bei den Veranstaltern der kommenden Saison herum.

Wirkliche Sicherheitsbedenken hat Mike allerdings nicht. „Im Gegensatz zu Freizeitparks nehmen wir die Bahn alle ein bis drei Wochen komplett auseinander und schauen uns jedes Teil an. Das macht da keiner. Und wenn man sich die Zahl der Zwischenfälle auf Volksfesten im Verhältnis zur Besucherzahl im Vergleich zu Freizeitparks ansieht, stehen die Feste deutlich besser da“.

Nach einer Stunde hat der TÜV seine Sichtprüfung der Wagen und der Strecke beendet. Einen sicherheitsrelevanten Defekt haben sie nicht gefunden, es müssen nur Kleinigkeiten verbessert werden, wie etwa eine Metallscheibe an einer Halterung getauscht werden. Marlon startet zum ersten Mal an diesem Tag die Bahn. Vier Wagen fahren nacheinander auf die Strecke. „Die Blockbremsen würden wir gerne noch sehen“, sagt Philipp Wagner. Mike hält kurz vor der Station einen Wagen auf. Sofort erkennt das System den belegten Abschnitt und schließt nacheinander die Bremsen auf der Strecke. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht kommen alle Wagen wie vorgesehen zum Stehen. Der TÜV ist zufrieden. Marlon und Mike sind sichtlich erleichtert. In vier Stunden kommen die ersten Gäste.

Onride: So sieht die Fahrt im Drifting Coaster aus:

 

Drei Wochen später wird die Anlage Stück für Stück zerlegt und verladen. Ein letztes Mal für dieses Jahr. Drei Monate haben Mike und Marlon eine Verschnaufpause, bevor Transport, Auf- und Abbau und die Nervosität kurz vor der Eröffnung zurückkehren.

Technische Details:

Name: Drifting Coaster
Hersteller: Reverchon
Schausteller: FTE Ahrend (Hannover)
Baujahr: 2016
Gewicht: Etwa 300 Tonnen
Fläche: 43×22 Meter
Höhe: 16 Meter
Streckenlänge: Etwa 480 Meter
Maximale Geschwindigkeit: Etwa 50 km/h
Maximale Kapazität: 5 Wagen mit 20 Sitzplätzen
Autor: Hans Pieper
Fotos: Gulliver Theis, Achim Multhaupt