Seit zehn Jahren kommen Touristen und Pendler auf der Rügenbrücke staufrei zur Insel und zurück. Bauoberleiter Ulrich Gawlas blickt stolz auf seine 13 Innovationen zurück.
Ulrich Gawlas, Bauoberleiter der Rügenbrücke, spaziert abends über sein fertiggestelltes Werk – und wird prompt von der Polizei zur Rede gestellt. Eigentlich darf niemand zu Fuß hier rauf. „Ich musste noch mein Fahrrad holen, das ich während der Arbeiten dort abgestellt hatte“, erklärt er den „Fehltritt“.
Drei Jahre verbringt der heute 65-Jährige die Werktage in Stralsund, um im Auftrag der DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH) den Bau der zweiten Strelasundquerung als mittleren Abschnitt der etwa 54 Kilometer langen neuen B96 zu überwachen. Als am 27. Oktober 2007 um 16.45 Uhr die ersten Autos darüber rollen, sind mehr als 100 Millionen Euro und 47 400 Kubikmeter Beton verbaut worden.
Gawlas erstellt Pläne, holt Genehmigungen ein. Dann starten die Fachkräfte (unter anderem von Max Bögl). Sie setzen wasserdichte Stahlwände. Spezialtiefbauer arbeiten in bis zu 15 Metern Tiefe wie in einem Kochtopf, der bis kurz vorm Rand im vollen Waschbecken steht. Die Mudde, schlammiger Untergrund, muss weg, Pfähle werden gegossen. Arbeiter hängen für den 128 Meter gen Himmel ragenden Pylon in luftiger Höhe. Bis zu 200 Leute beschäftigen sich zeitgleich am Bauwerk.
Brückenpapst Ulrich Gawlas von „EHS Ingenieure“ ist kreativ: 13 Innovationen lässt er verbauen. Etwa die Litzenbündel – Seilabspannungen, die harfenförmig auf den 2835 Meter langen Brückenzug treffen. Sie bieten dreifachen Korrosionsschutz und helfen Zugvögeln, da die Tragseile durch die Verstärkung des Seilquerschnitts besser erkennbar sind.
Einst hatte ein Gutachten zum Vogelschutz – verlangt von Mitgliedern des NABU und WWF – den Baubeginn verzögert. Heute sei der Eingriff in die Lebensräume von Tieren für Jens Lippmann, Vorsitzender des NABU-Kreisverbands Rügen, nicht das einzige Problem. „Es kommen noch mehr Touristen mit Autos auf die Insel, weil es ja schneller geht“, gibt er kritisch zu bedenken. Das Land versucht den Naturschützern mit Ausgleichsmaßnahmen entgegen zu kommen. Die Wiederherstellung des ökologisch hochwertigen Küstenlebensraumes Mellnitz-Üselitzer Wiek sei eine solche gewesen, sagt Renate Gundlach, Sprecherin des Landesverkehrsministeriums.
Die Ziegelgrabenbrücke, früher der einzige asphaltierte Überweg zwischen Hansestadt und Insel, öffnet sich weiter alle paar Stunden für den Schiffsverkehr. Völlig unbeeindruckt davon fließt der Verkehr nun mit 80 Stundenkilometern weiter oben auf bis zu drei Spuren. Peter Koslik düst als Pendler täglich im VW von Rügen nach Stralsund. Der Weg sei entspannter geworden. „Und ich genieße die Silhouette von Stralsund.“ Und die Rüganerin Christine Zillmer ergänzt, dass sie durch die Rügenbrücke freier sei. „Früher mussten wir unser Losfahren in den Urlaub oder zur Disco immer nach den Öffnungszeiten der alten Brücke richten“, sagt die 39-jährige Audi-Besitzerin. Jährlich passieren 4,7 Millionen Fahrzeuge die drittlängste Straßenbrücke Deutschlands. Fast 1500 Menschen pendeln von Stralsund nach Rügen, andersrum sind es über 3500.
Jan Gebhardt steht auf dem Dänholm, der Insel unter der Rügenbrücke, vor „Smutje`s Bistro“, wo er als Koch arbeitet. Er lauscht dem Plätschern des Wassers, das gegen die Segelboote trifft. Mehr Lärm gebe es hier durch die Brücke nicht. Ulrich Gawlas hat nämlich „für ein paar Groschen mehr“ das Geländer verglasen lassen. Wer drauf ist, fährt windgeschützt (die Brücke musste bisher nie wegen Sturms gesperrt werden). Wer drunter arbeitet oder wohnt, hat Ruhe. Seine Einwohner empfinden die Brücke gar als Wahrzeichen, betont Stralsunds Oberbürgermeister Alexander Badrow. „Früher hatten wir Rückstau bis in die Innenstadt. Das ist passé.“
Ab Oktober wird das Zehnjährige gefeiert. Unter anderem mit dem Rügenbrückenlauf, der seit Fertigstellung einmal jährlich Tausende über das Wasser führt. Es ist die einzige offizielle Möglichkeit, sich zu Fuß auf der Rügenbrücke zu bewegen – ohne Polizeistreifen fürchten zu müssen.
Autorin: Claudia Tupeit
Fotos: Christian Rödel