Mit den Hot Rods kann der Osten von Rügen knapp überm Asphalt erkundet werden. Das ist „pures Fahrerlebnis“ in jeder Hinsicht. Einblick in eine etwas andere Rundfahrt.

Der rechte Fuß drückt das Gaspedal durch. Die Tachonadel bewegt sich langsam auf die 80 zu. Der Wind pustet angenehm warm ins Gesicht. In den Händen kribbelt’s, während sie das vibrierende Lenkrad fest umschließen. Rennwagen, Seifenkiste, GoKart – für die „Hot Rods“ passen alle Vergleiche.

Ursprünglich kommt das Design für das ungewöhnliche Gefährt aus den USA. Denn die Mini-Flitzer sind letztlich aufgemotzte Automodelle aus den 1920er bis 1940er Jahren. Nicht umsonst haben sie starke Ähnlichkeiten mit dem 1932er Ford Revolver Hot Rod.

Inselerkundung aus ungewohnter Perspektive

In den motorisierten Seifenkisten kurvt der Fahrer knapp über dem Asphalt zwischen Alleenbäumen und entlang der Bäderküste Rügens. Pro Auto hat eine Person Platz, die allerdings nicht länger als 1,90 Meter und nicht schwerer als 100 Kilo sein sollte – sonst wird es eng. Seit drei Jahren bietet Thomas Popilko die Fahrten für 69 Euro pro Person von April bis September bei gutem Wetter auf der Ostseeinsel an. Start ist in Lauterbach, einem Ortsteil von Putbus.

Tourführer Kai Lehrmann gibt Fahrtipps

Keine Tour beginnt ohne Einweisung und Proberunden auf dem Betriebsgelände. Kai Lehrmann ist Tourführer. Seine wichtigste Lektion lautet: „Links ist die Bremse, rechts das Gas. Bitte nicht verwechseln, sonst muss ich heute Abend schweißen.“
Nachdem jeder Gas und Bremse verinnerlicht hat, geht es auf die echte Straße. Bis zu 90 Stundenkilometer ohne Gurt, dafür mit Helm. Für die Fahrt sind ein Mindestalter von 18 Jahren und ein PKW-Führerschein Pflicht.

Viel gibt es im Cockpit nicht zu sehen

Der Blinker wird gesetzt – wie beim Roller macht es laut tick-tack, tick-tack. Vorsichtig rollt die Gruppe brav wie an einer Perlenschnur aufgereiht vom Hof. Der Blick ins Cockpit fällt übersichtlich aus: Ein Lenkrad, zwei Pedale, vier Schalter und Knöpfe. Der Slogan „pures Fahrvergnügen“ erfüllt sich nach den ersten hundert Metern. Doch das Hinterteil gewöhnt sich schnell an Schlaglöcher und Holperstraßen. „Das ist auch das Besondere, ohne Federung oder sonstige Annehmlichkeiten normaler Autos zu fahren“, sagt der Rügener Hot-Rods-Inhaber Popilko.

Die typische Strecke führt für bis zu sechs Fahrer vom Lauterbacher Hafen zunächst nach Zirkow, wo Kai Lehrmann bei „Karls Erlebnis-Dorf“ einen kurzen Stopp einlegt. „Alles in Ordnung?“ will er von seinen Gästen wissen. Eine Mitfahrerin wundert sich, dass sie nie mehr als 50 km/h schafft. „Der Choke war draußen“, sagt Lehrmann nach einer Kontrollfahrt. Der „Choke“ ist aus Trabis bekannt. Das Herausziehen dieses Knopfes wird als Starthilfe genutzt, wenn die Hot Rods längere Zeit „kalt“ waren.

Kurzer Kontrollblick: Alle noch da.

Von Zirkow geht es weiter auf idyllischen Landstraßen nach Binz an die Küste. Sonnenbeschienene Alleen breiten sich vor der ungewöhnlich tiefen Perspektive aus, die Straße gleitet unter den kleinen Reifen hinweg. Auf der Strandpromenade werden die Fahrer mit ihren Mini-Flitzern zur Attraktion: Etliche Menschen zücken die Smartphones, filmen und fotografieren, als würden Prinz Harry und seine Meghan nach der Hochzeit vorbeidüsen. Selbst winkende Kinder gibt es – nur das Jubeln fehlt.

Raus aus dem überfüllten Binz Richtung Prora. An der roten Ampel erscheint der Bus neben einem plötzlich verdammt groß. Der einzige mulmige Moment während der zweistündigen Spaß-Fahrt. Erkundungsfahrten mit Hot Rods gibt es bereits in zahlreichen Städten wie Berlin, Koblenz, Düsseldorf, Essen, München und Hamburg. Doch während man sich dort durch den intensiven Stadtverkehr schlängelt und an nahezu jeder Ampel von Passanten mit Fragen überschüttet wird, steht auf Rügen das Genießen der Landschaft im Vordergrund.

In der Garage prüft Kai Lehrmann die motorisierten Seifenkisten auf Herz und Nieren

Auf dem letzten Abschnitt wackelt der Einzylinder mit seinen 14 PS noch mal über Bodenwellen. Am Ende landen die Hot Rods unversehrt auf dem Hof. Nach dem Umstieg müssen sich die Teilnehmer erst einmal wieder an den Komfort des eigenen Autos gewöhnen. Kai Lehrmann befüllt indes den 4,4-Liter-Tank der Mini-Flitzer mit Super bleifrei – sie sind startklar für das nächste Abenteuer.

 

 

Autorin: Claudia Tupeit
Fotos: Christian Rödel