Für das Theaterstück „Do’s & Don’ts“ wurde ein Schweine-Transporter zur fahrenden Tribüne umgebaut. Die zentrale Frage der Berliner Macher: Wie frei ist die Hauptstadt wirklich?

Eine Fahrt nach allen Regeln der Stadt_Credit André Wunsdorf

Dreckig? Ansichtssache. Zu laut? Kann durchaus mal passieren. Mancher Diskussion kann sich Berlin nun einmal nicht entziehen. In puncto Freiheit ist die Hauptstadt aber über jeden Zweifel erhaben. Nicht umsonst rappen die Musiker von „Endlich August“ in ihrer Liebeserklärungen an die Stadt: „Egal, ob Atze oder Göre, ob Lady oder Gentleman –  Jedem Topf sein Deckel und Töpfchen auf sein Deckelchen – Ja das ist Berlin.“

Doch Fakt ist nun einmal: Ob nun Atze, Göre, Lady oder Gentleman, sie alle unterliegen auch hier Gesetzen und Regeln. Es stellt sich die Frage: Wie frei ist Berlin wirklich?

Früher Grunzen, heute Jauchzen

Das Berliner Theaterkollektiv „Rimini-Protokoll“, bestehend aus den Regisseuren Helgard Haug, Jörg Karrenbauer und dem Dramaturgen Aljoscha Bergrich, griff für sein neues Projekt „Do’s & Don’ts: Eine Fahrt nach allen Regeln der Stadt“ genau diese Frage auf und machte Berlin im Mai zur Bühne. „In diesem Projekt wollten wir die Realität möglichst ungefiltert zum Stück selbst machen“, erklärt Bergrich.

Eine Fahrt nach allen Regeln der Stadt_Credit André Wunsdorf

Ein ausrangierter Kühllaster, früher für den Transport von Schweinehälften vorgesehen, wurde zum rollenden Zuschauerraum umgebaut.

Hinter einer gläsernen, von außen verspiegelten Seitenwand bietet das Innere des Lastwagens neben allerhand Audio- und Videotechnik Platz für drei Zuschauerreihen.

Freiheit unter Auflagen

Vom „HAU Hebbel am Ufer“ in Kreuzberg startete der LKW zu seinen „Exkursionen“. Erster Live-Schauplatz der Tour war der Herrmannplatz in Neukölln – ein kriminalitätsbelasteter Ort, wie ihn die Berliner Polizei einstuft. Straftaten von erheblicher Bedeutung bemächtigen die Polizei hier zur verdachtsunabhängigen Identitätsfeststellung und Durchsuchung. Wer durch ein bestimmtes Verhaltensmuster fällt, spürt die Grenzen der Freiheit unvermittelt.

Auch der S-Bahnhof Südkreuz wurde Schauplatz von „Do’s & Don’ts“. Seit August 2017 filmen im Rahmen eines Pilotprojekts zur automatischen Gesichtserkennung 77 Kameras den Umsteigebahnhof. Noch arbeitet die Software mit 300 freiwilligen Testpersonen. Kommt es am Ende des Versuchs zu einem positiven Ergebnis, könnte eine solche Überwachung aber schon bald flächendeckend für jeden zum Alltag werden.

Eine Fahrt nach allen Regeln der Stadt_Credit André Wunsdorf

Illusion Tempelhofer Feld

Selbst den Blick auf das Tempelhofer Feld schafft das „Rimini-Protokoll“ mit ihrem Stück zu schärfen, oder auch zu trüben. „Dort wo der Horizont ein wenig weiter weg wirkt“, beschreibt einer der Schauspieler das einstige Flughafengelände.  Doch die Wahrheit holt den Horizont wieder vor Augen. „Es hat sich rausgestellt, dass es kaum woanders mehr Regeln gibt“, zeigte sich selbst Dramaturg Bergrich während der Recherchen überrascht. Denn wer wo und wann grillen, laufen oder mit dem Hund spazieren darf, ist klar reglementiert.

Am Ende der Fahrt muss sich der Zuschauer die Frage nach der individuellen Freiheit Berlins selbst beantworten. Das Werkzeug dazu wurde ihm auf den Weg gegeben. Bergrichs dürfte mit seiner persönlichen Antwort nicht alleine dastehen: „Unreglementiert ist hier nichts. Solange man sich in einem bestimmten Verhaltensmuster bewegt, merkt man fast keine Grenzen. Aber sobald man davon abweicht, sieht es ganz anders aus.“

Vom 8. bis 26. August rollt der „DO’s & DON’Ts“-Laster durch Hamburg – eine weitere, womöglich bald wackelnde Bastion der Freiheit?

Eine Fahrt nach allen Regeln der Stadt_Credit André Wunsdorf

Text: Leon Strohmaier
Fotos: André Wunstorf