Wenn Matthias Zierau vorfährt, staunen die Leute. Sein Peugeot 404 ist das älteste Taxi Berlins. Warum der 52-Jährige trotz Überfällen, Verkehr und Konkurrenz glücklich ist.

Kein anderes Taxi ist älter: Matthias Zierau ist stolz auf seinen Peugeot 404.

Die Leute am Straßenrand winken, fotografieren oder heben ihre Daumen. Manche sehen erstaunt aus, andere grinsen. Eltern bleiben stehen und zeigen ihren Kindern das alte Taxi, das da an ihnen vorbei fährt. Dieser Oldtimer ist aber auch ein Blickfang, ein Peugeot 404, ein halbes Jahrhundert alt. Am Steuer sitzt Matthias Zierau. Seit 26 Jahren ist er Taxifahrer in Berlin. „Es gibt so viele positive Reaktionen der Leute auf mein Auto. Das ist toll und bringt mich durch den Tag, auch wenn es mal nicht so gut läuft“, sagt er.

Der herrliche silberne Türknopf der Hintertür lässt bereits das Einsteigen in das älteste Taxi Berlins zum Highlight werden. Tief in den Ledersitzen der Rückbank eingesunken sucht die Hand des Fahrgastes allerdings vergeben nach einem Anschnallgurt. Keiner da. „Willkommen in Ihrer privaten Zeitreise. Dieses Modell aus dem letzten Jahrtausend hatte noch gar keine Gurte“, sagt Matthias Zierau.

Denkmalschutz für das Oldtimer-Taxi

Übersichtliches Cockpit mit Tacho, Radio, Tankanzeige, Taxameter und Heizung
Nur das Nötigste im Cockpit des Peugeot 404

Probleme mit der Polizei bekommt er deshalb aber nicht. Oldtimer, die älter als 30 Jahre alt sind und keine Gurte haben, darf man auch ohne Anschnallpflicht fahren.

Kein Gurt, aber auch kein Piepen, keine computergesteuerte Bordelektronik, keine Klimaanlage; dafür ein schönes altes Lenkrad, Fenster zum herunterkurbeln und das Gefühl, in einem Auto mit Seele und Geschichte zu sitzen.

 

Matthias Zierau, 52, trägt einen Vollbart, eine kleine, runde Brille und eine Schiebermütze. Wie ein gemütlicher Chauffeur sieht er aus, dazu das weiße Hemd, die Weste und darüber die Lederjacke mit dem Firmenlogo: Klassik-Taxi-Berlin. Seine Stimme dröhnt durch den Wagen, wenn er von seinen Erlebnissen erzählt: Eine gebrochene Nase, weil einem Fahrgast das Rauchverbot missfallen hat. Auch Überfälle hat er schon erleben müssen, manche konnte er abwehren, andere nicht. Fühlt Zierau sich bedroht, drückt er einen Alarmschalter: „Dann blinkt und hupt der Wagen. Der Krach hat schon einige vertrieben“, sagt er. Manchmal meckert auch einer, weil er den Oldtimer für schäbig hält.

„Betrunkene machen mir nichts aus“

Willkommen! Der Nostalgiker freut sich über (fast) jeden Fahrgast

Doch die meisten freuen sich über das Erlebnis, mit diesem alten Gefährt ohne Aufpreis durch die Straßen von Berlin kutschiert zu werden. Einmal saß ein Bischof bei ihm auf der Rückbank. Ein alter, zerbrechlicher Mann, voller Liebe, Güte, der in einem einfachen Apartment wohnte, um in seinem Bischofshaus eine Flüchtlingsfamilie beherbergen zu können. „Der hat mich echt beeindruckt. Solche Begegnungen prägen“, sagt Zierau.

Dabei ist Zierau häufig selbst Seelsorger und hört den Menschen zu, wenn sie von Trennungen erzählen, von Jobverlust und gescheiterten Lebenskonzepten. Oder er ist Unterhalter, zeigt Touristen die Stadt und erzählt seine Geschichten. Oft ist er auch einfach nur der, der einen zum Bahnhof, zum Flughafen, zur Arztpraxis oder nachts von der Bar nach Hause bringt. „Betrunkene machen mir nichts aus“, sagt er, „gerade die sollen ja Taxi und nicht selber fahren.“ Freundlich sein, das muss ein Taxifahrer, unabhängig davon, wer da hinten einsteigt und wie weit er gefahren werden möchte. „Wer das nicht beachtet, sollte nicht Taxi fahren“, sagt er.

Vom Aushilfsjob zur Lebensaufgabe

Zufrieden lehnt Matthias Zierau an seinem Oldtimer.
Ein Mann und sein Auto

Zierau hat einmal Jura studiert. Taxi fahren sollte nur ein Job sein, für zwischendurch. Doch aus dem Aushilfsjob wurde eine Lebensaufgabe. Manchmal zweifelt Zierau, ob er seine Chancen nicht hätte besser nutzen können.Vor allem, wenn es mal wieder nicht so gut läuft. Wenn er wartet und wartet und keiner steigt zu. Wenn er in der Stunde nur 10 Euro Umsatz macht. Wenn 1.200 Euro am Ende des Monats übrig bleiben – nach 45 Wochen-Arbeitsstunden.

Dazu der brutale Berliner Verkehr: das ewige Stop-and-Go, die Staus, die vielen Baustellen, die neue Konkurrenz durch Online-Anbieter. Doch wenn man Zierau dabei beobachtet, wie er sanft über das Lenkrad seines Oldtimers streicht, wie er wissend und sicher den Verkehr prüft, wirkt er zufrieden. Ich möchte kein anderes Auto fahren. Das macht mich glücklich.“

 

Text, Fotos: Karl Grünberg